DSB-Themenwoche: Angst im Sport

Erstellt von Manuel am Montag, 02.11.2020 21:18:14 | Kategorie Deutscher Schützenbund

Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass Sie nicht scheitern können? Würden Sie andere Entscheidungen treffen? Ihren Job kündigen? Vielleicht alles auf den Sport setzen? Angst vor dem Versagen, vor Blamage oder vor Verletzungen ist oftmals der Begleiter von Athleten, vor allem bei Wettkämpfen. Aber nicht immer muss dies negative Auswirkungen haben, wie uns Olympiasieger Christian Reitz erklärt.

Was ist Angst?

Angst beschreibt im Allgemeinen erst einmal ein Gefühl der Spannung und Bedrückung, einen emotionalen Zustand, der auf Grund von realer oder vermuteter Bedrohung durch äußere oder innere Faktoren verursacht wird. Es ist eine natürliche Reaktion auf Gefahren und ein Urinstinkt sowie eine natürliche Schutzreaktion unseres Körpers, die ihn auf eine Handlung vorbereiten (Angriff/Flucht). Angst kann eine persönliche Eigenschaft sein (jemand ist ängstlich) oder einen vorübergehenden Zustand beschreiben.

"Grundsätzlich ist Angst nicht unbedingt so negativ zu sehen, wie viele meinen."

Christian Reitz, Olympiasieger Schnellfeuerpistole

Ursachen von Angst

Bild: DSB / Für Christian Reitz ist der Umgang mit Angst Übungssache.
Bild: DSB / Für Christian Reitz ist der Umgang mit Angst Übungssache.

Im Sport begegnet einem der Begriff vor allem in Bezug auf Wettkämpfe. Wettkampfangst, Angst vor dem Versagen oder Angst vor Verletzungen sind nur ein paar Beispiele. „Als Sportler hat man immer mal wieder Angst vor dem Versagen oder Angst, dass etwas nicht funktioniert. Aber bei mir überwiegt meistens die Freude, sich zu messen, zu zeigen, was man kann und das umzusetzen, was man sich im Training erarbeitet hat“, so Deutschlands Schnellfeuer-Ass Christian Reitz, der laut eigener Aussage meist mehr Respekt als Angst empfindet und sich damit deutlich von einem ängstlichen Sportler abhebt. Denn das Problem ängstlicher Sportler liegt darin, dass sie nicht das Gefühl haben, die Situationen kontrollieren zu können. Sie verkrampfen, haben mentale Blockaden und auf einmal fühlen sich gewohnte Bewegungsabläufe ganz ungewohnt an. Das Selbstbewusstsein schwindet. Diese Sportler sind weder fähig, körperlich noch mental Höchstleistungen zu vollbringen, denn sie können wichtige von unwichtigen Informationen nicht mehr unterscheiden. Der Sportler befindet sich in einer regelrechten Angstspirale. Sie beginnt, indem Sportler eine angstauslösende Situation wahrnehmen, z.B. ein Finale. Bei vielen Sportlern löst dieser Gedanke vielleicht ein positives Gefühl aus, aber vielleicht hat der Sportler schon mehrmals im Finale schlechte Erfahrung gesammelt, ist knapp an der Medaille vorbeigeschrammt und hat sich selbst als „Versager“ abgestempelt. So bewertet er das Finale als Bedrohung im Hinblick auf die eigene Bewältigungskompetenz der Situation, was den kognitiven Ansatz von Lazarus bestätigt, der besagt, dass Angst als die Folge einer subjektiven Situationsbewertung aufgefasst wird.

Dass die Angstreaktion davon abhinge, inwieweit wir glauben, unsere Umweltfaktoren und nicht zuletzt uns selbst zu kontrollieren, bestätigt auch Sportpsychologe Graham Jones in seinem Modell der Wettkampfangst. Wenn man selbst davon überzeugt ist, eine Situation meistern zu können, wird man sie mit einer positiven Erfolgserwartung an die Erreichung der Ziele angehen, also gleichzeitig mit mehr Zuversicht an den Start gehen, denn man ist überzeugt, sein Leistungspotenzial abrufen zu können. Schätzen Sportler die Gegner zu stark ein oder die Verletzung als zu schwerwiegend, können das Stressoren sein, die Angstsymptome mit sich bringen und sich am Ende leistungshemmend auswirken. Je besser sich der Sportler also auf seine Selbstwirksamkeit fokussieren und konzentrieren kann, desto besser hat er seine Angst im Griff. Das bestätigen auch Woodman und Hardy (2003), die besagen, dass Athleten mit einem stark ausgeprägten Selbstbewusstsein dazu neigen, sowohl geringere Angstzustände als auch geringere Intensitäten der Wettkampfängstlichkeit zu verspüren.

Wie äußert sich Angst?

Diese Gefühle und die Bewertung führen zur Angst und den dazugehörigen körperlichen Reaktionen (Schwitzen, erhöhter Puls, Atemnot, Zittern oder ein flaues Gefühl im Magen). Diese Symptome können wiederum die Angst zusätzlich verstärken. Angst kann sich ganz allgemein auf drei unterschiedlichen Ebenen äußern: Der kognitiven Ebene, d.h. durch bestimmte Gedankenprozesse, der somatischen (körperlichen) Ebene, also physiologischen Reaktionen wie zittern, oder auf der Verhaltensebene, also durch verschiedene Verhaltensmuster. Nicht immer bedeuten Angstsymptome wie Unzufriedenheit, Erröten, Gähnen oder das Vermeiden von Augenkontakt dann auch gleich, dass der Sportler voller Angst ist. Doch eine große Kombination dieser Angstsymptome kann durchaus ein Indikator dafür sein, dass aus Nervosität Angst geworden ist.

Um nicht immer tiefer in diese Abwärtsspirale zu geraten, sollten Sportler mit Hilfe von mentalen Techniken lernen, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Denn Stress und Angst im Leben eines Sportlers in Zusammenhang mit Leistungsdruck im Sport können gravierende Einflüsse auf die Leistung als auch auf den Gesundheitszustand der Athleten haben. Vor allem, wenn der Stress als Bedrohung erlebt werde, sei der Übergang zur Angst und die damit verbundenen leistungsbeeinträchtigenden Gedanken laut Hanin (2000) fließend.

Ist Angst immer negativ?

Situationen im Sport können Angst aufkommen lassen, aber das muss nicht immer schlecht sein, sagt Olympiasieger Christian Reitz: „Grundsätzlich ist Angst nicht unbedingt so negativ zu sehen, wie viele meinen. Für mich gehören Situationen, wo ich den Puls schon unter dem Gehörschutz spüre und es dann trotzdem – oder gerade deswegen – funktioniert hat, zu den schönsten Erinnerungen.“ So kann Angst bis zu einem gewissen Maße sogar letzte Energiereserven aufkommen lassen oder zu Vorsichtsmaßnahmen führen, die beispielsweise vor Verletzungen schützen, in dem Sportler nicht über ihre Leistungsgrenze hinaus gehen oder sich in gefährliche Situationen begeben. Stattdessen kann eine erhöhte Nervosität sogar zu einer verbesserten Reaktionszeit führen und die Muskulatur schneller und effektiver arbeiten lassen. Es stützt zudem die These von Humara (1999), dass Sportler auf einem hohen Leistungsniveau auch geringere Wettkampfängste zeigen als Sportler mit niedrigerer sportlicher Expertise, da sie mehr auf ihr eigenes Können vertrauen und die Nervosität besser kontrollieren können. Während Spitzensportler sich primär auf die Aufgabe fokussieren, neigen Anfänger dazu, sich auf ihre Angstgefühle zu konzentrieren.

Einen Rat hat Spitzenschütze Reitz aber noch: „Solche Situationen muss man üben und lernen, damit zu arbeiten, damit man weiß, dass es funktioniert. Nur so ist die Nervosität oder Angst im Wettkampf nicht mehr so schlimm, sondern begleitet einen nur.“ Das gilt auch in Bezug auf Wettkampferfahrung: Sportler mit hoher Wettkampferfahrung weisen prinzipiell geringere Wettkampfängste auf als Athleten mit wenig Wettkampferfahrung, da sie ein geringeres Selbstbewusstsein als Sportler mit hoher Wettkampferfahrung erkennen lassen. Und sie haben sich bereits ein großes Repertoire an Strategien im Training und Wettkampf erarbeitet, dass sie Ängste besser kontrollieren lassen.

Angstsymptome werden übrigens auch dann eher als leistungsfördernd wahrgenommen, wenn sich die Sportler ihre Ziele selbst gesetzt haben und sie nicht vom Trainer oder Verband vorgegeben wurden. Trotzdem ist die Rolle des Trainers in Bezug auf Angst nicht zu unterschätzen: Er kann als „Dämpfer“ für die Auswirkungen von Angst fungieren, und allein die wahrgenommene Unterstützung des Trainers kann Sportlern, die anfällig für Angst sind, helfen, die Angst zu lindern und damit wesentlich besser mit den psychischen Wettkampfanforderungen zurecht zu kommen. Zudem zeigen zahlreiche Studien, dass regelmäßige körperliche Aktivität auch Angst abbauen und das psychische Wohlbefinden stärken kann. So kann schon eine 20-minütige Übungseinheit mit gemäßigter Intensität (50-60% der maximalen Herzfrequenz) eine angstreduzierende Wirkung erzielen.

Einzelsportler haben mehr Angst

Generell zeigt sich, dass Einzelsportler vor, während und nach dem Wettkampf mehr Angst empfinden als Mannschaftssportler. Einer der Gründe ist, dass bei Sportarten wie Triathlon oder Tennis das Gefühl der Isolierung und Exposition wesentlich stärker ist, als in der relativ großen Anonymität von beispielsweise Rasensportarten. Übungen, die man als Trainer oder Sportler anwenden kann, um z.B. Wettkampfangst zu lindern, werden im Laufe der Themenwoche veröffentlicht.

Quelle:

Beckmann J., Ehrlenspiel F. (2018). Strategien der Stressregulation im Leistungssport. In: Fuchs R., Gerber M. (Hrsg.) Handbuch Stressregulation und Sport. Springer Reference Psychologie. Berlin, Heidelberg: Springer.

Fernandes, M.G., Nunes, S.A.N., Vasconcelos-Raposo, J. & Fernandes, H.M.. (2013). Factors influencing competitive anxiety in Brazilian athletes, Revista Brasileira de Cineantropometria e Desempenho Humano, 15 (6). S. 705 - 714.

Gabler, H., Nitsch, J. R., & Singer, R. (2004). Einführung in die Sportpsychologie. Teil 1: Grundthemen. Schorndorf: Hofmann.

Graham-Jones, J. & Hardy, L. (1990). Stress and performance in sport. New York, New York: John Wiley & Sons.

Hanin, Y. L. (2000). Emotions in sports. Champaign: Human Kinetics.

Humara, M. (1999). The relationship between anxiety and performance: A cognitive–behavioral perspective. Athletic Insight: The Online Journal of Sport Psychology, 1(2).

Kent, M. (1996) (Hrsg.). Wörterbuch Sportwissenschaft und Sportmedizin. Limpert / UTB.

Magraf, J., Schneider, S., (1990). Panik. Angstanfälle und ihre Behandlung. Berlin: Springer.

Martens, R., Burton, D., Vealey, R. S., Bump, L.A. & Smith, D.E. (1990). The competitive state-anxiety inventory-2 (CSAi-2). In R. Martens, R.S. Vealey & D. Burton (Hrsg.), Competitive anxiety in sport (vgl. S. 117-190). Champiagn: Human Kinetics.

Trainingsworld (2019). Ursachen der Wettkampfangst und Methoden zur Angstbewältigung. Zuletzt aufgerufen am 20.10.2020 unter https://www.trainingsworld.com/training/mentaltraining/ursachen-wettkampfangst-methoden-angstbewaeltigung-1276748

Woodman, T. & Hardy, L. (2003). The relative impact og cognitive anxiety anf self-confidence upon sport performance: a meta-analysis. Journal of Sport Science, 21, S. 443-457. Zuletzt aufgerufen am 21.10.2020 unter http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.470.5472&rep=rep1&type=pdf 

Weiterführende Links

Bild: DSB / Angst kann gravierende Auswirkungen auf die Leistung von Sportlern haben.

Quelle: Deutscher Schützenbund

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