Der große Stabilisatorentest von Gerhard Gabriel

Erstellt von Manuel am Montag, 24.09.2018 15:24:22 | Kategorie Bogensport-Planet

Was sind Stabilisatoren und was sollten sie können?

Stabilisatoren bestehen allgemein aus einem Stab, der mit dem einen Ende mittels eines Gewindes mit dem Bogenmittelteil verbunden ist und am anderen Ende eine Masse in der Regel in Form eines Metallgewichts trägt.
Erfunden wurden sie vermutlich in der Absicht, den Bogen beim Zielen und auch während des Abschusses durch ein erhöhtes Massenträgheitsmoment ruhiger zu halten, analog zum Laufgewicht bei Handfeuerwaffen. Später erkannte man, dass dies in Wirklichkeit nicht so ist, sondern mehr nach dem Prinzip der Schwingungsdämpfung durch weiche Lagerung funktioniert, wie sie zum Beispiel bei Motoren und Maschinen mit oszillierenden und rotierenden Teilen aller Größenordnungen bis hin zum riesigen Schiffsmotor Anwendung findet.
Da der gespannte Bogen wie eine Feder hoch elastisch und somit schwingungsfähig ist, lässt er sich naturgemäß sowohl von einmalig auftretenden Stößen durch böige Seitenwinde, als auch von periodischen Auslenkungen, etwa durch das bekannte Muskelzittern, auch Muskeltremor genannt, zu sinusförmigen Schwingungen anregen.
Hier liegt nun die Aufgabe der Stabilisatoren, nämlich, den Bogen während des Zielvorgangs ruhig zu halten, indem sie auftretende Schwingungen abdämpfen oder, wenn möglich, ganz unterdrücken. Wir wissen aus allen Bereichen der modernen Technik, ob Maschinen-, Fahrzeug- oder Turbinenbau, dass alle elastischen und somit schwingungsfähigen Bauteile oder Baugruppen kritische Eigenschwingungsfrequenzen besitzen. Werden sie unterkritisch bis kritisch, das heißt mit Frequenzen unter der bis hin zur kritischen Eigenfrequenz erregt, erhöht sich ihre Amplitude sprich Ausschlagweite ständig bis zu ihrer eventuellen Zerstörung. Bei überkritischer Erregung jedoch verringert sich ihre Schwingungsamplitude im Verhältnis der Erregerfrequenz zur Eigenfrequenz, bis sie schließlich ganz verschwindet, wenn die Erregerfrequenz hoch genug über der Eigenfrequenz liegt. In unserem Falle müssen wir dafür sorgen, dass die Frequenz der periodischen Erregung durch den Muskeltremor, der mit ziemlich genau 6 Hertz ermittelt wurde, immer höher ist als die Eigenfrequenz des gespannten Bogens mit dem jeweils gewählten Stabilisatorensystem. Das bedeutet wiederum, dass die Eigenfrequenzen der von den verschiedenen Herstellern angebotenen Stabisysteme möglichst deutlich unter 6 Hertz liegen sollten, wobei der Monostabilisator die deutlich dominierende Rolle spielt.
Zu den Möglichkeiten, die Eigenfrequenz niedrig zu halten gehören natürlich große Länge und hohes Gewicht der Stabilisatoren. Allerdings sollte hier nicht übertrieben werden, da beide Parameter das Gewicht des gesamten Bogens erhöhen und im Grenzfall zu hohem Kräfteverschleiß und zur „hohen Bogenschulter“ führen.
Was Stabilisatoren jedoch nicht können, ist, den Schuss selbst zu beeinflussen. Merke: Auch der beste Stabilisator kann nicht aus einer unsauber geschossenen Acht eine Zehn machen. Die gute Streuung hängt einzig und allein von der Wiederholgenauigkeit der S-förmigen Bahnkurve ab, die die Sehne nach dem Lösen in einem Zeitraum von etwa 16 Millisekunden beschreibt. Und ausgerechnet diese 16 Millisekunden sind der einzige Zeitraum, in welchem das Bogenmittelteil absolut bewegungslos still steht, und somit die Stabilisatoren keinerlei Wirkung entfalten können. Das Mittelteil mit den Stabilisatoren beginnt erst wieder sich zu bewegen, nachdem der Pfeil die Sehne bereits verlassen hat. Die nachstehend dargestellten Messprotokolle geben darüber interessante Auskunft.

Zweck der Untersuchung
Es sollte untersucht werden, wie verschiedene auf dem Markt angebotene Stabilisatormodelle und - konzepte die vorstehend beschriebenen Anforderungen erfüllen. Dabei wurden ausschließlich die physikalischen Eigenschaften analysiert und die Verträglichkeit mit den anatomischen und physiologischen Gegebenheiten der Bogensportler wie etwa Kraftbedarf, Kräfteverschleiß und Konditionsbelastung nicht berücksichtigt.

Versuchsaufbau
Zur Simulation der Vorgänge während des Zielens diente eine Vorrichtung, in welcher der komplett mit Stabilisatoren und Visier ausgestattete Bogen im gespannten Zustand aufgehängt und dann mittels eines rotierenden Exzenters mit verschiedenen Frequenzen zum Schwingen angeregt wurde.
Dabei wurden für jedes untersuchte Stabilisatormodell folgende Daten durch Messung bzw. Laserlichtanzeige ermittelt und protokolliert .
- kritische Eigenschwingungsfrequenz und Schwingungsamplitude bei dieser Frequenz
- Schwingungsamplitude bei der typischen Muskeltremor-Erregerfrequenz 6 Hz
Weiterhin wurden die Auswirkungen unterschiedlicher Längen und Konfigurationen von Konterstabilisatoren untersucht.

 

Versuchsaufbau

Messreihe 1:
Stabilisatorsyteme mit waagerechten Konterstabis und Extender

1 Mono mit
2 waagerechten Konterstabis und Extender

Gewicht in Gramm

Länge in inch / Durchmesser in cm

Eigenschwingungs- Amplitude und Frequenz in Hz

Schwingungsamplitu de bei Erregung durch Muskeltremor 6 Hz


Modell a

965 g

43,3 inch 22 mm


3,5

 


Modell b

752 g

38,5 inch 18 mm


4,0

 


Modell c

831 g

39 inch 4x6 mm


3,5

 


Modell d

706 g

38,5 inch 17 mm


3,5

 


Modell e

646 g

37,8inch 17 mm


3,7

 


Modell f

576 g 37,4inch 17 mm
5,5
 


Modell WIZARD INT

650 g 34,6inch 10 mm
1,5
 


Modell WIZARD COMPACT

654 g 24inch 10 mm
2
 
 

Auswertung

  1. Durch die Verwendung von Extendern erhöht sich die Gesamtlänge der Monostabilisatoren, wodurch sich ihre Eigenschwingungsfrequenz schon etwas verringert.

  2. Die besonders langen und schweren Modelle a und b haben eine ähnliche Wirkung, stellen aber eine erhöhte Belastung der Kraft- und Konditionsreserven des Schützen dar.

  3. Durch die vorverlagerte Einleitung der Masse der Seitenstabilisatoren in den Monostabilisator entsteht an der Verbindungsstelle ein ausgeprägter Schwingungsbauch mit einer zweiten Schwingungsfrequenz. Dies führt zur Überlagerung der beidenFrequenzen und der Entstehung von Schwebungenmit pulsierender Amplitude, was den Zielvorgang nicht eben erleichtert, sondern eher erschwert.

  4. Durch die Anordnung der weit verbreiteten Gummidämpfungselemente am Vorderende der Stabilisatoren wird zwar besagtes Vorderende sichtbar beruhigt, während jedoch das hintere Ende umso heftigeram Bogenmittelteil rüttelt.

  5. Es muss eigentlich nicht extra betont werden, dass der Seitenwindwiderstand des dicksten und längsten der getesteten Stabilisatormodelle annähernd viermal höher ist als beispielsweise beim 24 Inch GABRIEL WIZARD COMPACT. Auch die aus mehreren dünnen Stäben zusammengesetzten Stabilisatoren haben wegen ihrer starken Wirbelbildung einen unverhältnismäßig hohen Seitenwindwiderstand

Messreihe 2:
10 inch- Konterstabi-Konfigurationen mit Mono WIZARD COMPACT 24“

2 Konterstabilisatoren in unterschiedlicher Anordnung

Gewicht in Gramm

Länge in inch / Durchmesser in cm

Eigenschwingungs- Amplitude und Frequenz in Hz

Schwingungsamplitu de bei Erregung durch Muskeltremor 6 Hz



Konfiguration 1 waagerecht gespreizt

377 g

10 inch 10 mm


3,5

 



Konfiguration 2 waagerecht geschlossen

377 g

10 inch 10 mm


4,0

 



Konfiguration 3 hängend gespreizt

377 g

10 inch 10 mm


3

 



Konfiguration 4 hängend geschlossen

377 g

10 inch 10 mm


3,5

 



Konfiguration 5 senkrecht gespreizt

377 g

10 inch 10 mm


3,5

 



Konfiguration 6 senkrecht geschlossen

377 g

10 inch 10 mm
3
 

Auswertung

1. Vergleichsmessungen an Konterstabilisatoren mit unterschiedlichen Längen haben keinerlei signifikante Unterschiede im Schwingungs- und somit Stabilisierungsverhalten ergeben. Konterstabilisatoren sind aber in ihrer Funktion als Gegengewicht zum Ausgleich zu starker Kopflastigkeit des Bogens nicht wegzudenken. Dennoch hat sich herausgestellt, dass sie unerlässlich sind, da ein noch so guter Monostabilisator allein nicht in der Lage ist, die optimale Gesamtstabilisierungsleistung des Systems aufzubringen.

2. Der Vergleich von sechs verschiedenen Konfigurationen bezüglich des vertikalen und horizontalen Winkels hat gezeigt, dass der Bogenschütze die freie Wahl hat, je nach dem, was ihm gefällt oder sich besser anfühlt. Nicht verschwiegen soll aber bleiben, dass die Version mit etwa 15 bis 30° Grad hängenden und 0 bis 10° gespreizten Konterstabilisatoren einen vergleichsweise guten Eindruck hinterließ. Diese Version hätte auch den Vorteil, dass sich der Bogen besonders in eng besetzten Schützenlinien auf Wettkampfplätzen angenehm platzsparend handhaben ließe.

3. Was den Extender, das notwendige Übel bei Verwendung waagerechter Konterstabilisatoren anbelangt, so ergaben Schießversuchen, dass eine Mindestlänge von 3,5 cm völlig ausreicht, , beziehungsweise, dass gar kein Extender notwendig ist, wenn nur der verwendete Stabiverteiler (V-Bar) etwa 1,5 cm breiter als die üblichen Modelle wäre, um Kollisionen mit dem Bogenarm nach dem Abschuss zu vermeiden.

Historisches

In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren die einzigen bekannten Stabilisatoren zwei mit Gewichten versehene Stäbe von etwa 30 cm Länge, die in die obere und untere Gewindebuchse auf der Vorderseite des Bogenmittelteils eingeschraubt wurden. Sehr bald erkannte man auch, dass es von Vorteil wäre, die Stabis auf flexible Schwingungsdämpfer, die sogenannten TFCs (Torque flight Compensators) zu setzen.
Anfang der 70er Jahre tauchte die ersten Monostabilisatoren mit Längen von etwa 25 bis 30 Zoll auf. Bei den Olympischen Spielen von München im Jahr 1972 errang John Williams einen überlegenen Sieg mit einem langen Monostabilisator und zwei mittellangen Zusatzstabilisatoren, die alle auf Schwingungsdämpfern an der Vorderseite des Mittelteils montiert waren. Er hatte sich sogar einen besonders spektakulären Gag antrainiert, bei dem er den sehr kopflastigen Bogen ohne Verwendung einer Fingerschlinge nach dem Abschuss eine volle 180°-Drehungen nach vorn kippen und dann lässig mit der Wurzel des Monostabilisators in der offenen Bogenhand zur Ruhe kommen ließ. Obwohl eifrig versucht wurde, diese tolle Schießtechnik nachzuahmen, ist eigentlich niemand bekannt geworden, dem dieser Trick so perfekt wie John Williams gelungen wäre.


Aus diesem Grund wurde auch versucht, dieses sehr heftige Vorwärtskippen des Bogens abzumildern, indem man zwischen Mittelteilrückseite und Sehne kurze Konterstabis montierte, die jedoch bald von einem Paar etwas längerer, mittels Stabispinne (V-Bar) montierten, leicht hängend nach hinten gerichteter Konterstabilisatoren auf beiden Seiten der Sehne abgelöst wurden. Diese Konfiguration hat sich im Grunde bis zum heutigen Tag erhalten.

Einige Jahre später in den 80ern erschienen dann die waagerechten Konterstabis mit der rasanten Optik von gepfeilten Düsenflugzeugflügeln auf der Bildfläche, kreiert vermutlich von zwei jungen amerikanischen Bogenschützen, in dem sehr erfolgreichen Versuch, einen eigenen Gag zu erfinden. Allerdings stellte sich heraus, dass man mit dieser Konfiguration gar nicht schießen konnte, wenn die Stabispinne direkt am Bogen montiert war, da nach dem Abschuss immer einer der Konterstabis mit dem Bogenarm kollidierte. Um diesem Dilemma zu entgehen, war man gezwungen, die Konterstabis nach vorn zu verlagern und erfand zu diesem Zweck flugs ein Verlängerungsstück, den sogenannten Extender. Unerheblich, ob sich der Extender vorteilhaft oder nachteilig auf das Schießergebnis auswirkte, allein die rasante Optik genügte für einen beispiellosen Siegeszug um die gesamte Bogenwelt.

Allerdings ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass besonders westliche Spitzenschützen mehr und mehr wieder zu hängenden Konterstabilisatoren ohne Einsatz von Extendern zurückkehren.

Die Entwicklung und Gestaltung der Gerätschaften im Bogenschießen wurden zu allen Zeiten nicht nur von Wissen und Können, sondern auch von den Wünschen und Glaubensvorstellungen der zahlreichen Anhänger geprägt, was in hohem Maße zur Faszination dieser Sportart beiträgt.

Deshalb können wir sicher sein, dass der Bogensport niemals altern, sondern durch die ihm innewohnende Dynamik noch lange Zeit jung bleiben wird

Im September 2018

Gerhard Gabriel

Quelle: Gerhard Gabriel
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