Wann ist konkret die Entscheidung gefallen, die Karriere zu beenden?
Richter: „Die finale Entscheidung dazu ist im August gefallen. Ich hatte mich jedoch bereits seit April dieses Jahres intensiv damit befasst, aber da noch in Erwägung gezogen, dass durch eine Pause meine Motivation zurückkommen und ein neues Feuer entfachen würde.“
Mayr: „Einen richtigen Stichtag gab es bei mir nicht. Jedoch kamen mit den Zweifeln irgendwann auch kritische Fragen in meinem Kopf auf. Wofür genau mache ich das? Habe ich noch Spaß? Ist das alles noch realistisch? Wenn solche Fragen aufkommen, dann ist es eigentlich schon zu spät.“
Wie schwer ist euch die Entscheidung gefallen? Wie emotional fiel diese aus?
Richter: „Schon schwer, da ich seit 20 Jahren im aktiven Bogensport zu Hause bin, 17 Jahre davon in der Nationalmannschaft. Es ist ein sehr großer Teil meines Lebens und ich habe nie länger als drei Monate am Stück pausiert. Das klingt schon gewaltig und das macht es sehr einzigartig, wenn ich es mir so vor Augen führe. Bis vor kurzem würde ich sagen, habe ich keine besondere emotionale Veränderung bei mir gespürt. Ich hatte mich in den letzten Jahren schon immer mal wieder damit befasst, dass ja auch irgendwann mal Schluss ist. Aber jetzt, da ich meine Entscheidung kommuniziert habe und auch viel Resonanz dazu kam, kommen an manchen Tagen doch deutlich mehr Emotionen auf.“
Mayr: „Der emotionalste Moment war bei einer internen Verabschiedung während eines Kaderlehrganges und kurz nach dem Telefonat mit Bundestrainer Oliver Haidn, in dem ich meinen Rücktritt erklärt habe.“
Ich hatte eine Mega-Zeit! DANKE!
Habt ihr danach auch Erleichterung gespürt, dass es vorbei ist und ihr diesen Schritt vollzogen habt?
Richter: „Schon ein bisschen, zumal ich mir ja eine bestimmte Zeit genommen hatte, in der ich in mich hineinhorchen wollte, ob noch mal Lust aufkommt. Ich hätte es mir schon gewünscht, aber sie kam nicht. Und als dann eine Entscheidung fällig war, war ich auch ein Stück weit froh, dass ich sie dann auch final getroffen habe.“
Mayr: „Bis jetzt muss ich sagen, war die Entscheidung eher befreiend. Klar, es fehlt ein großer Teil des bis dahin normalen Tagesablaufes, aber am Ende war das viel Überwindungs- und Motivationsarbeit.“
Wie hat euer sportliches und privates Umfeld auf die Entscheidung reagiert?
Richter: „Ich habe durchweg positives Feedback bekommen, sehr viele haben ihr Verständnis ausgedrückt. Dass manche auch traurig sind, kann ich verstehen, geht mir ja auch so.“
Mayr: „Die meisten haben es verstanden. Manche haben mich gefragt, ob ich nicht zu früh aufhöre. Eine weitere Saison bis zu den Spielen in Tokio wäre doch noch gegangen. Aber hätte ich das so empfunden, dann würde ich jetzt noch schießen.“
Was war der schönste, was der bitterste Moment in eurer Karriere?
Richter: „Das kann ich nicht so einfach beantworten, es gibt da nicht nur ein paar solcher und solcher Momente. Sehr stolz bin ich auf den Sieg bei den Military World Games 2019. Die Vorbereitung war schlecht, da wir vor Ort nicht trainieren konnten. Wir waren mit einem ganz anderen Team unterwegs, mein gewohntes Trainer- und Betreuerteam fehlte und trotz dieser Umstände konnte ich mich von einer dürftigen Ausgangsposition nach vorn kämpfen, vorbei an einer anspruchsvollen Konkurrenz. Das haben die erfolgreichen und mir wichtigen Momente meistens gemein: das Gefühl, dass ich es bewusst und mit meinem Willen geschafft habe, aufgrund meiner Handlung, inneren Haltung und am besten noch direkten Entscheidung. Natürlich mit Unterstützung auf dem Weg dorthin, aber in letzter Konsequenz habe ich es geschafft, als es drauf ankam. Als sehr bitterer Moment ist mir der verpasste Team-Quotenplatz 2015 und 2016 in Erinnerung.“
Mayr: „Der bitterste Moment war das Qualifikationsturnier in Amsterdam, als es um die Quotenplätze für London ging. So knapp vor dem Ziel zu scheitern, war sehr hart und hat auch dafür gesorgt, den Leistungssportgedanken zu hinterfragen.
Der schönste Moment teilt sich in zwei auf: Der erste war die Nachricht, dass ich doch zu den Spielen nach London fahren darf. Der zweite war mein Comeback 2017. Ich habe mir sehr lange überlegt, ob ich es wirklich versuchen soll. Nachdem ich am zweiten Tag der ersten Rangliste einen super Tag hatte, wusste ich, dass ich wieder dabei bin. Das war schon sehr überwältigend!“
Elena, du hast dich 2019 bei der WM diebisch über den Team-Quotenplatz gefreut (siehe Video unten). Wie bitter ist es, diese Geschichte nicht zu Ende zu bringen?
Richter: „Diese Geschichte ist ja zu Ende. Wir haben den Team-Quotenplatz gewonnen! Das kann mir niemand nehmen, dass ich daran beteiligt war, den ersten Team-Quotenplatz seit 2004 zu gewinnen. Dass es 2020 keine Olympischen Spiele gibt, zu denen ich mich vielleicht qualifiziert hätte - denn fix war es ja noch gar nicht - ist furchtbar ätzend und ich war und bin traurig und sauer und genervt, aber es ist ja nicht zu ändern...“
Camilo, nach deinem Comeback 2017 hat du das Bogenschießen wegen einer Technikumschulung komplett neu erlernen müssen. War das rückblickend richtig?
Mayr: „Die Technikumstellung war auf jeden Fall richtig. Das Niveau hat international während meiner Pause enorm angezogen, sodass meine höchsten Ringzahlen nicht mehr hoch genug waren. Mit den Umstellungen bin ich Schwachstellen in meinem Schuss angegangen. Ich konnte nach einiger Zeit auch meine persönliche Bestleistung überbieten, aber meine Konstanz hat gefehlt. Mein Schießgefühl war empfindlich gegenüber verschiedenen Trainingsinhalten, die durch kleine Störungen der Technik eben diese festigen sollten - so die Theorie. In der Praxis war leider das Gegenteil der Fall. Es wurde immer schwieriger, ein einheitliches Schießgefühl zu finden, was letztendlich dazu geführt hat, dass meine Leistung unkonstant blieb und keine Aufwärtstendenz zeigte.“
Ihr wart über viele Jahre Nationalkaderschützen, habt 2012 u.a. an Olympischen Spielen teilgenommen. Wie hat sich der Bogensport von damals bis heute verändert?
Richter: „Der Bogensport ist deutlich professioneller geworden, in Deutschland aber auch in der Welt. Unser Training ist intensiver und strukturierter geworden, es wurde mehr Geld investiert, um an mehr Wettkämpfen und Trainingslagern teilzunehmen. Ich war deutlich öfter und länger unterwegs und arbeitete noch hingebungsvoller an der Erreichung meiner Ziele.
Auch die Sportpsychologie hat größeren Einzug gefunden, das war wichtig und hat stark weitergebracht. Ich denke, der Bereich Sportpsychologie hat einen sehr großen Stellenwert und wird zu Unrecht noch zu stiefmütterlich behandelt.“
Mayr: „Der Bogensport ist viel professioneller geworden. So sind auch die Höchstringzahlen gestiegen. Unter den Top 10 bei internationalen Wettkämpfen befinden sich eigentlich nur Profis - also Sportler, die das hauptberuflich machen. Man legt noch mehr Wert auf Feintuning, um nochmals ein, zwei Ringe mehr rauszuholen. Da kommen zum Beispiel auch Highspeed-Kameras zum Einsatz.“
Wo seht ihr noch Verbesserungspotenzial?
Richter: „Leider bin ich nicht mehr in den Genuss der 70m-Halle am Standort Berlin gekommen. Diese ist mehr als überfällig und dringend notwendig, wenn Deutschland im Bogensport weiter an der Weltspitze bleiben bzw. diese erreichen möchte. Ebenso könnte man personell besser aufgestellt sein. Ich las zuletzt, es sei schwer, meine Position zu ersetzen und nach der nächsten Saison werden vermutlich wieder ein paar Sportler gehen. Wenn keine qualifizierten und engagierten Trainer bezahlt werden können, die Nachwuchssportler ausbilden, wird es auch so bleiben.
Aber auch auf nationaler Ebene: vieles ist bürokratischer geworden und je mehr Stunden dafür verwendet werden müssen, desto weniger kann mit den Sportlern individuell gearbeitet werden. Dabei ist es doch das, was wichtig ist.
Auch wenn wir zu einem Teil eine Mannschaftssportart sind und darüber Medaillen generieren können, so ist diese Leistung eigentlich nur eine Summe der Einzelleistungen. Denn z. B. die Vorrunde, die wichtig für eine gute Ausgangsposition ist, bestreitet man allein und wenn es drauf ankommt, beim entscheidenden Pfeil im Podiumsmatch, steht man auch allein an der Linie. Ein gutes Teamgefüge ist wichtig und unverzichtbar, aber nichts wiegt die Leistung eines jeden einzelnen auf. Und gerade, weil unser Sport zu großen Teilen und auf dem oberen Level im Kopf stattfindet, bin ich sicher, dass in der Individualisierung viel zu holen ist.
So hätte ich mir manches Mal mehr gewünscht, dass die Erfahrung von den „alten Hasen“ noch mehr gehört und noch individuellere Wege ermöglicht worden wären. Auf Kommando viele Pfeile schießen kann jeder, und die Jüngeren besser als die Älteren, aber auf Kommando in die Mitte schießen, leider eben (noch) nicht alle.“
Was traut ihr euern ehemaligen Kolleginnen und Kollegen für Tokio 2021 bzw. darüber hinaus zu? Wohin geht die Reise mit dem deutschen Bogensport?
Richter: „Alles ist möglich. Ich denke es kommt bei jedem einzelnen Sportler und Trainer gleichermaßen an auf die Bereitschaft, an sich zu arbeiten, aus Misserfolgen zu lernen, Erfolge richtig zu feiern, an den richtigen Stellen loszulassen und ein Verhältnis zwischen Sportler und Trainer zu schaffen, bei dem einander verstanden wird und Vertrauen füreinander da ist.“
Mayr: „Der Kader ist der stärkste Kader, den wir je hatten! Es fallen regelmäßig starke Ergebnisse. Nur gehört auch immer etwas Glück dazu. Ich weiß, dass der Kader das Potenzial hat, der internationalen Konkurrenz einzuheizen und das Leben so richtig schwer zu machen! Da ist auf jeden Fall etwas möglich. Eine große Aufgabe wird es sein, schon den Nachwuchs auf ein professionelles Schießen vorzubereiten und zu unterstützen. Klar, man macht irgendwie sein Hobby zum Beruf und dann ist es eben der Beruf mit guten und schlechten Tagen. Ich bin nicht jeden Tag aufgewacht und habe gesagt: "YES, heute wieder 300 Schuss oder mehr plus Kraft-/Ausdauertraining! Der Tag wird super!" Das erfordert viel Motivation und Disziplin. Man muss es wirklich wollen, aber das sehe ich bei allen Kaderathleten!“
Was rückt jetzt bei euch in den Fokus?
Richter: „Ich möchte mein Studium der Psychologie beenden bzw. erst mal wieder richtig aufnehmen und freue mich, endlich wieder mehr Zeit mit meinem Pferd verbringen zu können und reite gerade viel. Im Juli habe ich geheiratet und freue mich auf baldige Kurz-Flitterwochen, die mit einer Reise innerhalb Deutschlands zwar anders aussehen als mal erträumt, aber das Thema kenne ich ja gerade schon.... Ach, und wir kaufen ein Haus, was wir in naher Zukunft umbauen wollen, aber wir bleiben in Berlin, wechseln quasi nur den Kiez.“
Mayr: „Es wird sich jetzt einiges verändern. Ich werde diesen Monat Vater! Alle sagen, dass das etwas Tolles aber auch Anstrengendes ist. Ich bin sehr gespannt und freue mich darauf. Eine weitere Baustelle ist die berufliche Karriere. Momentan bin ich dabei, meine Optionen abzuklären. Steige ich direkt ins Berufsleben ein oder studiere ich nochmals? Das bedeutet, viele Emails zu schreiben und viel zu telefonieren.“
Haben euch die Erfahrungen und Fähigkeiten aus dem Bogensport für das „wahre Leben“ geschult? Wenn ja, in welcher Weise?
Richter: „Ich denke schon, dass mir der Leistungssport besondere Eigenschaften verliehen hat. Durchhaltevermögen, Leistungsfähigkeit, Willensstärke, mentale Ausdauer, Belastbarkeit, um hier einige zu nennen. Ich würde sagen, ich bin reifer und reflektierter im Vergleich zu Gleichaltrigen und kenne mich selbst an mancher Stelle vielleicht etwas besser.“
Mayr: „Ich denke, Disziplin ist für das Leben immer wichtig, und das habe ich auf jeden Fall gelernt. Auch eine gewisse Frustresistenz hat sich entwickelt. Nicht alles, was man angeht, gelingt auf Anhieb. Dann heißt es dranbleiben!“
Werdet ihr noch einmal zum Bogen greifen, um einfach den Sport zu genießen, oder wird das Sportgerät für ewig in den Keller gestellt?
Richter: „Die Frage kann ich gerade noch nicht beantworten, dafür scheint es zu frisch. Im Moment fühlt es sich aber so an, als würde ich den Bogen demnächst erstmal nicht mehr selbst in der Hand haben müssen.“
Mayr: „Ab und zu werde ich schon noch Schießen. Ich bin immer noch Mitglied beim Berlin Archery Club und werde in der Ligamannschaft starten. Und ich werde auch als Trainer tätig sein. Mich komplett vom Bogensport abnabeln, kann ich nicht.“
Ihr habt viel erlebt und dem Bogensport viel gegeben. Was habt ihr dem Bogensport zu verdanken?
Richter: „Die Reisen werde ich vermissen, wenn auch nicht in der Intensität. Dann die Verbindung zu so vielen tollen Menschen in den vielen verschiedenen (Bundes-)Ländern. Zu einigen hat man über die Jahre eine engere Bindung aufgebaut, steht in intensiveren Kontakt und besucht sich gegenseitig. Aber wie gut, dass das durch die globale Vernetzung einfacher zu halten ist.“
Mayr: „Das Umherreisen mit Freunden war schon sehr cool! Ich hatte sehr viele tolle Momente, auf die ich immer gerne zurückblicke. Ich konnte viel erleben, und dafür bin ich sehr dankbar! Ich danke dafür allen Menschen, die mich auf meinem Weg zum und im Bogensport begleitet und unterstützt haben. Ich hatte eine Mega-Zeit! DANKE!“