DSB-Themenwoche: Bundestrainer Oliver Haidn über die Relevanz von Athletiktraining im Bogensport

Erstellt von Manuel am Mittwoch, 14.10.2020 20:40:47 | Kategorie Deutscher Schützenbund

Mehrere Tonnen ziehen die Spitzenathleten im Bogensport hochgerechnet pro Woche – eine Last, die eine gute Muskulatur voraussetzt. Bundestrainer Oliver Haidn gibt nicht nur einen Überblick über das körperliche Training seiner Nationalkaderathleten, sondern erklärt auch, wie sich dieses Training zu Hause im Verein umsetzen lässt.

Schützen müssen sich oft mit dem Vorurteil beschäftigen, dass sie körperlich nicht topfit sind. Was würden Sie den Kritikern entgegensetzen?
Haidn: „Meine Athleten haben nur einen Kritiker: den Bundestrainer. Sonst würde, denke ich, jeder sehr zufrieden sein mit dem athletischen Niveau. Im Bogenschießen ist es vielleicht etwas anders als im Kugelbereich, denn wir haben von vornherein einen Schwerpunkt auf Athletiktraining, Ausdauertraining oder allgemeines Koordinationstraining. Es gehört genauso dazu wie das Schießtraining auch.“

Wie viel Anteil hat das Fitness-Training?
Haidn: „Es hängt davon ab, in welcher Phase wir uns befinden. Zu Saisonbeginn legen wir mehr Wert auf die Athletik, denn die läuft der speziellen Kondition voraus. Jetzt im Oktober schießt ein Bogenschütze ca. zwischen 1.000-1.500 Pfeile pro Woche, hinzu kommen 7-8 Stunden Athletiktraining. Ab Januar wird diese dann reduziert, dafür werden die Pfeilzahlen erhöht. Im Allgemeinen machen wir ca. 70 Prozent Spezialtraining, der Rest teilt sich auf Athletiktraining und psychologisches Training auf.“

Begleitendes Training sollte von Anfang an in allen Bereichen stattfinden. Vom Ausdauertraining bis hin zum Koordinationstraining.

Oliver Haidn, Bundestrainer Bogen

Warum ist Athletiktraining wichtig für Bogenschützen?
Haidn: „Wenn man in den Hochleistungssport reinblickt, dann schießen unsere Bundeskaderathleten bis zu 2.000 Pfeile die Woche mit einem Bogen, dessen Zuggewicht zwischen 40-50 lbs liegt (1 lb entspricht 454 Gramm). Also zieht der Athlet in der Woche 1.000-2.000 Mal 20-25 Kilogramm. Wenn man das technisch sauber umsetzen will, benötigt der Sportler eine allgemeine Kraft.“

Welche Muskelgruppen sind dabei besonders wichtig?
Haidn: „Das Schultergelenk ist vor allem ein muskulär geführtes Gelenk. Um den Schulterkopf in der Gelenkpfanne beim Ausziehen des Bogend zu stabilisieren, ist diese Schultermuskulatur essenziell für Bogenschützen, um den Bogen ruhig halten zu können. Wenn wir das nicht machen, führt das Training schnell zu Überlastungen – auch im Bereich des Sehnenapparates. Verletzungen sind die Folge.“

Gibt es weitere Bereiche, die besonders trainiert werden sollten?
Haidn: „Ebenso wichtig ist der Rücken! Der Trapezmuskel, der Latissimus sowie der Rautenmuskel sind wesentliche Muskeln, die trainiert werden sollten. Aber ein Bogenschütze braucht auch eine entsprechende Rumpfstabilität. Stellt man sich einen Baum im Wind vor, sieht man nur, dass sich die Blätter und Äste bewegen, der Stamm bleibt still. Gleiches gilt für einen Athleten: Wenn dessen Rumpf nicht gut ausgebildet ist, wackelt der ganze Stamm samt Äste, also die Arme des Schützen, gleich mit. Die dritte Komponente ist die statische Muskulatur, die er für einen stabilen Stand braucht, das heißt, auch die Oberschenkelmuskulatur muss entsprechend trainiert sein.“

In welchem Alter sollte ein Bogenschütze mit dem Krafttraining beginnen?
Haidn: „Begleitendes Training sollte von Anfang an in allen Bereichen stattfinden. Vom Ausdauertraining bis hin zum Koordinationstraining. In jedem Verein sollte das ab der Schülerklasse der Fall sein. Ein regelmäßiges, gezieltes Krafttraining mit speziellen Übungen muss spätestens dann erfolgen, wenn der Athlet sich in Richtung Jugendklasse bewegt, denn wir setzen hier ca. 30.000 Pfeile pro Jahr an, wofür er eine entsprechende Kraft benötigt.“

Wie sieht ein optimales Fitness-Training für einen Bogenschützen aus?
Haidn: „Ein Bundeskaderathlet sollte dreimal pro Woche für ca. 60 Minuten ein gerätegestütztes Krafttraining (Seilzug, Beinpresse, etc.) durchführen. Hinzu kommen Workouts (Core-Training), also Ganzkörper-Stabilisationsprogramme. Diese dauern bei uns in der Regel 18 Minuten und werden fünfmal ausgeführt, um die Rumpfstabilität zu stärken. Als dritte Komponente gibt es das Theraband-Programm, das der Schütze ebenfalls fünfmal pro Woche für ca. 15 Minuten durchführt. Das ist ein Spezialprogramm für die Schultern mit Schwerpunkt Innen- und Außenrotation. Obendrauf kommen ca. 100 Minuten Lauftraining, die ein Athlet für den Ausdauerbereich machen sollte. Wenn er lieber mit dem Fahrrad fährt, erhöht sich die Zeit noch einmal. Warum machen wir das? Weil wir hitzeresistent sein wollen, wir so die Konzentrationsfähigkeit über die Woche aufrecht halten können und wir so das Immunsystem stärken. Wenn ein Athlet sich über fünf, sechs Wettkampftage konzentrieren will, dann ist Ausdauertraining unerlässlich.“

Woher wissen Sie, auf welchen Fitnesslevel sich Ihre Athleten bewegen?
Haidn: „Wir testen viermal im Jahr sowohl die allgemeine als auch die spezielle Athletik. Das ist ein Feldstufentest mit einem 45-minütigen Lauf, einem Maximalkrafttest und einem Core-Programm von 21 Minuten mit dem Ziel von 240 sauberen Wiederholungen. Das hilft uns, die Fähigkeiten einordnen und vergleichen zu können, und so können wir das Training entsprechend danach ausrichten.“

Jetzt haben die Bundeskaderschützen in ihren Sportleistungszentren überwiegend hervorragende Trainingsbedingungen. In Vereinen sind die Möglichkeiten oft begrenzt. Haben Sie Tipps, wie sich körperliches Training auch ganz einfach im Verein umsetzten lässt?
Haidn: „Dass das im Verein nicht geht, lasse ich nicht gelten, denn jeder Schütze kann sich ein Theraband besorgen und 15 Minuten im Anschluss ans Schießtraining die Rotatorenmanschette schulen. Übungen kann jeder von uns haben. Ein Ganzkörper-Stabilisationsprogramm führen wir ausschließlich ohne Geräte aus, das heißt, diese 5x18 Minuten kann auch jeder trainieren. Und dann ist auch ein extra Fitnessstudiobesuch nicht mehr nötig, denn damit sollte der Sportler fit genug sein. Ansonsten kann sich natürlich jeder zusätzlich zwei Hantelstangen, Kurzhanteln oder einen Seilzug anschaffen, um gerätegestütztes Training zu machen. Aber man braucht natürlich auch einen Trainer, der die Übungen kontrolliert und bei den Jungschützen begleitet. Das kann z.B. auch ein Physiotherapeut übernehmen, der sich heute schon in fast jedem Verein befindet. Diesen gilt es, zu motivieren und das Training zu übernehmen, wenn es Schützen im Verein gibt, die an einem leistungsorientierten Training interessiert sind.“

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Bild: DSB / Für Oliver Haidn ist Fitnesstraining ein wesentlicher Bestandteil im Trainingsplan seiner Athleten.

Quelle: Deutscher Schützenbund

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